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5. Nicht immunologische Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU)

Autoren: M. Raithel, A. Hagel, W. Taumann, P.Konturek, G.J. Molderings, U. Hetterich

Nahrungsmittelunverträglichkeiten ohne spezifische Beteiligung des Immunsystems können neben einer einfachen Intoleranz auf bestimmte Nahrungsmittel (zum Beispiel biogene Amine, Histamin, Sulfite etc.) durch definierte organische und funktionelle Erkrankungen (zum Beispiel Infektionen, Reizdarm, chronische Pankreatitis etc.), Enzymmangel (Laktase), toxische Reaktionen und Störungen des Transportsystems, z.B. Fructose, hervorgerufen werden (1, 2, 19–21).

5. 1 Kohlenhydratmalassimilation und bakterielle Dünndarmüberwucherung

5.1.1 Laktoseunverträglichkeit

Die häufigste NMU ist die Laktoseintoleranz (Laktosemaldigestion) mit einer Häufigkeit von etwa 10–15 % in der Bevölkerung. Hier kommt es zu uncharakteristischen abdominellen Symptomen wie Blähungen, Flatulenz, Schmerz und wechselndem Stuhlverhalten (Durchfall, Verstopfung) nach Zufuhr von Laktose (ab ca. > 10 g). Durch die genetisch bedingte Rückbildung der Laktase im Bürstensaum des Dünndarms kann Laktose nicht mehr im Dünndarm in seine Bestandteile Glukose und Galaktose gespalten werden (11, 21, 22). Der nicht resorbierte, osmotisch wirksame Milchzucker gelangt in tiefere Dünn- und Dickdarmabschnitte und wird dort von Bakterien verstoffwechselt. Die dabei entstehenden Produkte induzieren die klinische Symptomatik. Da die Diagnostik mithilfe des H2-Atemtestes oder Bluttestes sehr einfach ist, kann eine Laktosemaldigestion heute sehr rasch als Ursache der Intoleranz gegenüber Milchzucker sicher diagnostiziert werden.

5.1.2 Fruktose- und Sorbitunverträglichkeit

Ähnliche Beschwerden wie bei Laktoseunverträglichkeit können auch bei der Fruktose- und Sorbitmalabsorption entstehen (23, 24). Hierbei findet sich eine Überlastung bzw. Störung am Fruktosetransporter in der Dünndarmmukosa (GLUT-5 und -2). Dies kann entweder primär eintreten, wenn hohe Fruktosemengen den Transporter quantitativ überfordern (begrenzte Resorptionskapazität), sodass das Monosaccharid Fruktose im Kolon durch Bakterien verstoffwechselt wird, oder sekundär bei bestimmten Dünndarmerkrankungen (23, 24). Da Sorbit intestinal in Fruktose umgebaut wird, den GLUT-5-Transporter hemmt und ebenso osmotisch wirksam ist, gleicht die Sorbitintoleranz oder Sorbitmalabsorption pathophysiologisch derjenigen der Fruktosemalabsorption (21, 23). Die klinische Beschwerdesymptomatik ist oft unspezifisch wie bei Reizdarm. Eine relevante systemische oder histologische Entzündungsaktivität findet sich nicht.

Laktose-, Fruktose- und Sorbitmalabsorption treten oft gemeinsam auf, weshalb es ratsam ist, bei entsprechenden Symptomen alle drei abzuklären und nach einer gemeinsamen Ursache einer Bürstensaumschädigung des Dünndarms zu suchen (zum Beispiel bakterielle Dünndarmüberwucherung, gastrointestinale Allergie, Infektion, Zöliakie).

5.1.3 Bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms

Die Fehlbesiedlung des Dünndarms durch Bakterien der oralen Flora oder des Dickdarms kann ähnliche unspezifische Symptome einer NMU auslösen und sich mit einer Reizdarmcharakteristik äußern. Sie ist daher eine wichtige Differenzialdiagnose zur oben aufgeführten KH-Malassimilation, und sie zeigt ebenso wie diese keine erhöhte Entzündungsaktivität und meist normale endoskopische Befunde (1, 21, 25). Teilweise konnte eine bakterielle Dünndarmüberwucherung auch bei den Reizdarmpatienten mit Kohlenhydrat-Malassimilation festgestellt werden, sodass bei einer derartigen Symptomatik großzügig der Verdacht auf eine bakterielle Überwucherung gezielt mittels H2-Atemtestung abzuklären ist. Besonders gefährdet sind Personen mit zum Beispiel Divertikeln, interenterischen Fisteln, Ileozökalresektion, postoperativen Zuständen, Peristaltikstörungen (zum Beispiel Kollagenosen, intestinale Pseudoobstruktion), Diabetes mellitus oder unter Immunsuppressiva bzw. Protonenpumpenhemmern (21, 23, 25). Der H2-Atemtest wird mit 50 g Glukose über drei bis vier Stunden durchgeführt und stellt bei standardisierter Durchführung derzeit die praktikabelste Methode zur Erkennung der bakteriellen Dünndarmüberwucherung dar (Abb. 4). Bereits eine erhöhte H2-Nüchternkonzentration vor Durchführung des Tests (H2-Gas > 20 ppm) kann ein Hinweis auf das Vorliegen dieses Krankheitsbilds sein (21, 25).

5.2 Intoleranz gegenüber Histamin und anderen biogenen Aminen

Unverträglichkeitsreaktionen durch biogene Amine wie Histamin, Tyramin, Serotonin etc. beruhen entweder auf hohen Konzentrationen dieser Substanzen (Intoxikation) oder bei prädisponierten Personen auf pharmakologischen, pseudoallergischen und idiosynkratischen Mechanismen (Intoleranz) (1, 10, 13).

Das aus der Aminosäure Histidin gebildete Amin Histamin kann zu Asthma, Durchfall, Flush-Symptomatik, Migräne, Kopfschmerzen, Übelkeit, Unruhe, Ödemen (Schwellungen) und Vorhofflimmern führen. Ein systemischer oder lokaler Anstieg von Histamin kann einerseits durch eine Reduktion des Histaminabbaus über die Enzyme Diaminoxidase (DAO) und/oder Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) eintreten. Auch Medikamente und Alkohol können diese Enzyme hemmen (unter anderem Amoxycillin, Diclofenac, Metoclopramid etc.). Andererseits kann eine verstärkte Freisetzung von Histamin im Körper wie unter anderem bei nicht erkannten Allergien, Mastozytose, Neoplasien etc. auch Symptome der Histaminwirkung erzeugen (10, 13). Dementsprechend vielseitig ist die Symptomatologie bei der Histaminintoleranz („sog. Histaminose“), die sich an verschiedenen Organsystemen manifestieren kann und daher neuerdings unter dem Begriff des „Histaminintoleranz-Syndroms“ (HIS) zusammengefasst wird (13, 26).

Oft wird versucht, die Diagnose des HIS mittels des alleinigen DAO-Nachweises im Plasma zu stellen. Dies gelingt leider nicht ohne Hinzunahme weiterer klinischer Faktoren, einer Diätumstellung auf histaminarme Diät, einer Bestimmung des Methylhistamins im Urin sowie einer Korrelation zum Plasmahistamin, denn im Plasma ist die DAO-Konzentration viel zu gering verglichen mit dem GIT (1, 10, 13, 26).

Da die Histaminwirkungen bei einer Allergie vom Typ I–IV definitionsgemäß nicht als Histaminintoleranz gelten, ist es erforderlich, vor Diagnosestellung eines Histaminintoleranz-Syndroms immunologische Diagnostikmaßnahmen zum Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie durchzuführen. Anamnestisch weisen bestimmte Lebensmittel wie gereifter Käse, Thunfisch, Rotwein, Sauerkraut wahrscheinlich auf eine Intoleranz gegenüber Histamin und/oder anderen biogenen Aminen hin. Da dies aber nicht beweisend ist, werden klinisch verschiedene Strategien zur Diagnosestellung des Histaminintoleranz-Syndroms herangezogen. Als Goldstandard gilt nach wie vor die gezielte orale Provokation mit 75–150 mg Histamin bzw. dem verdächtigten biogenen Amin (zum Beispiel Tyramin) unter Monitoring der Vitalparameter (1, 13, 26, 27).

5.3 Unverträglichkeit von Alkohol

Alkohol hemmt die DAO, sodass exogen aufgenommenes oder endogen freigesetztes Histamin nicht mehr quantitativ ausreichend genug abgebaut wird, was Symptome einer Histaminintoleranz begünstigen kann (10, 13, 26–28). Zusätzlich ist bekannt, dass Azetaldehyd als Abbauprodukt des Alkohols Histamin freisetzen kann. Berücksichtigt man, dass viele alkoholische Getränke Histamin enthalten, so erklärt sich dadurch die Tatsache, dass sich eine Histaminintoleranz oft beim Genuss von Alkohol zuerst manifestiert. Dies gilt für Beschwerden wie Kopfschmerzen, Migräne, Bauchschmerzen, Durchfall, Reizdarm, Flush, Pruritus und sogar Induktion von kardiozirkulatorischen Störungen (Hypotonie, Tachykardie) bis hin zu Vorhofflimmern (26–28).

Alkoholische Getränke können neben Histamin aber auch noch andere Faktoren enthalten, die Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen können, wie zum Beispiel Sulfite, Salicylate, Sorbinsäure (zum Beispiel Wein, Bier etc.), weitere biogene Amine oder bestimmte Allergene (Gerste, Hefen, Schimmelpilze etc.) (11, 23).

Unabhängig von den Histaminintoleranzmechanismen, die durch Alkohol verstärkt werden können, ist aus allergologischer Sicht zu beachten, dass schon nach geringsten Mengen von Alkoholkonsum eventuell Reaktionen mit echten Nahrungsmittelallergenen verstärkt auftreten können, da Alkohol die Permeabilität der Darmschleimhaut verändert und die lokale Durchblutung im Darm steigert, so dass Allergene besser resorbiert werden können. In der weiterführenden Diagnostik werden hier Provokationen des Allergens in Kombination mit einer geringen Menge Alkohol oder Aspirin erforderlich sein, um den Krankheitsmechanismus definitiv zu sichern (9, 13, 26). In der Differenzialdiagnose von Nahrungsmittelunverträglichkeiten sollten auch stets die mit erhöhtem Alkoholkonsum (> 40–60 g/Tag) einhergehenden toxischen Effekte berücksichtigt werden (zum Beispiel chronische Pankreatitis – Fettunverträglichkeit).

5.4 Salicylatintoleranz (NSAID-Intoleranz)

Die klassischen Symptome der Salicylatintoleranz bzw. bei Intoleranz gegenüber nicht steroidalen Antiphlogistika sind respiratorische Beschwerden (verlegte oder rinnende Nase, Sinusitis, Polyposis nasi (Nasenpolypen, Asthma bronchiale; sog. Samter-Trias), sie kann jedoch auch zu Magen-Darm-Beschwerden mit Meteorismus, Bauchschmerzen, Flatulenz, Reizdarm, Blähungen, Durchfall und selten bis hin zu Kolitiden mit Strikturen und Ulcera führen (1, 29, 30). Es können auch Hautveränderungen wie chronische Urtikaria, Pruritus und Hautsensationen auftreten, die in der Differenzialdiagnose gegenüber Allergien oder dem Histaminintoleranz-Syndrom abgegrenzt werden müssen.

Die Pathogenese beruht auf einer Hemmung der Cyclooxygenase-1 durch Salicylate und andere nicht steroidale Schmerzmedikamente, aber auch durch salicylathaltige Nahrungsmittel und andere Säuren (zum Beispiel Benzoesäure, Farbstoffe etc.) mit der Folge einer verminderten Synthese der Prostaglandine (29–31). Bei intoleranten Personen führt dies zu einer verstärkten Bildung von Leukotrienen. Diese Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit kann bei verschiedenen Patientengruppen auftreten wie bei Atopikern, aber auch bei Reizdarmpatienten, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Personen mit persistierender Eosinophile.

Diagnostisch hilfreich zur Stratifizierung der Patienten ist oft die Frage nach einer Unverträglichkeit von Aspirin, nicht-steroidalen Antiphlogistika, salicylathaltigen Lebensmitteln wie Curry, weiteren Gewürzen, Paprika, Beeren, Rosinen und Biokartoffeln (hoher Salicylatgehalt, da sich die Pflanze damit gegen Schädlinge, Insekten etc. wehrt, wenn kein Pflanzenschutz verabreicht wird) oder nach Reaktionen auf Konservierungs- und Farbstoffe. Ein diagnostischer Hinweis ist das Vorliegen einer Polyposis nasi (Nasenpolypen) oder eines nicht allergischen Asthmas (29–31). Der Nachweis erfolgt durch einen Blutzelltest (Heparinblut) mit Inkubation von 5-ASA und Arachidonsäure oder durch eine Provokationstestung mit Aspirin oder Salicylsäure (nasal, bronchial, oral [1, 29–31]).

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